Bayern wird zum Problem
Lange Zeit glaubte man noch, dass im Landesverband Bayern die Satzung der Piratenpartei Deutschland etwas wert wäre. Der Landesverband, welcher sich nach außen hin meist eher konservativ und Grundgesetz-treu gab, hat allerdings eine Entwicklung durchgemacht, welche nicht gerade zum Vorteil der Piratenpartei Deutschland ist und ihren langen Schatten auf alle Piraten wirft.
So häufen sich langsam aber sicher Vorkommnisse, welche Zweifel an der Satzungstreue der Bayern erwecken. War der Vorfall mit dem Bezirksverband Niederbayern und deren Parteitag ein hörbarer Warnschuss und Mahnmal für politische Willkür, so ist der neueste Verstoß des Landesverband Bayern eine ganz andere Qualität und dürfte geeignet sein, das Ansehen der Piratenpartei bundesweit nachhaltig zu beschädigen.
Alles begann damit, dass der Kreisverband Neu-Ulm bzw. deren erster Vorsitzender einen langen, durchaus provokanten, mutigen, zwar mit inhaltlichen Schwächen aber im sachlichen, unaufgeregten Ton formulierten Beitrag zur Flüchtlingsdebatte und dem Umgang der Medien und staatlichen Gewalten damit auf deren offizieller Webseite veröffentlichte.
Über den Text kann man – insbesondere wegen der teilweisen inhaltlichen Schwächen – sicherlich diskutieren und soll es auch. Aber es ist eben in der Kompetenz eines demokratisch gewählten 1. Vorsitzenden auf der Internetpräsenz seiner Gliederung derartige politische Diskussionen anzustoßen. Der Text beinhaltete keinerlei strafbaren Formulierungen oder gar „Hate-Speech“ bzw. sonstige reißerische, rassistische oder absichtlich diskriminierende Inhalte. Es war ein provokanter (weil emotional aufgeladenes Thema) Artikel welcher unbequeme Details ansprach.
Leider konnten einige Mitglieder des Bundesvorstands „das Wasser nicht halten“ und verkündeten öffentlich ihr starkes Unbehagen zu diesem Artikel des KV Neu-Ulm. Beinahe unverzüglich sprangen Mitglieder des Landesvorstandes Bayern auf diesen Zug auf und verwiesen an ihren „Feuermelder“ – einem Formular zur Meldung bedenklicher Beiträge.
Bereits an dieser Stelle offenbarte sich die fehlende politische Erfahrung von Teilen des amtierenden Bundesvorstandes und des Landesvorstandes Bayern. Man hätte einfach auf nicht-öffentlichen Kanälen den 1. Vorsitzenden des KV Neu-Ulm kontaktieren können, oder den Diskurs produktiv begleiten, indem man z. B. auf offensichtliche Fehler im Text hinweist und diese ggf. sogar mittels Quellenangaben widerlegt und richtigstellt. Stattdessen diffamierte man den Artikel und den Autor und stellte ihn zumindest rhetorisch in die rechte Ecke. Der LV Bayern ging aber noch einen Schritt weiter.
Der Landesverband ließ die Webseite des Kreisverbandes Neu-Ulm komplett sperren. Nochmal: Der Landesband Bayern der Piratenpartei Deutschland, einer Partei, welche sich seit ihrer Gründung FÜR Meinungsvielfalt, FÜR Grundrechte, FÜR Transparenz, GEGEN Zensur, GEGEN Netzsperren und GEGEN jegliche Form der Unterdrückung von Minderheiten aufgrund ihres Bekenntnisses und GEGEN Totalitarismus ausspricht. Dieser Landesverband Bayern eben jener Piratenpartei, SPERRT die offizielle Webseite des Kreisverbandes Neu-Ulm der Piratenpartei Deutschland!
Aber als ob das nicht bereits unglaublich und unfassbar wäre, geschieht das ganze auch noch ohne jeglichen Rechtsschutz des Kreisverband Neu-Ulm. So gab es KEINE vorherige Anhörung, KEINEN rechtmäßigen Beschluss, KEIN rechtstaatliches Verfahren, KEINE Unschuldvermutung, KEINE Abwägung der Verhältnismäßigkeiten, KEINE Abwägung der berührten Grundrechte. Wir wollen schließlich nicht vergessen wie die Piratenpartei öffentlich reagiert als die Polizei (mit unendlich mehr Anlass) die Piratenpartei Server beschlagnahmte oder wie noch vor wenigen Monaten die Landesvorsitzende in Bayern gegen Zensur mit zugeklebten Mund auftrat.
Die gesamte Sperrung durch den Landesverband Bayern MUSS als schwerst vorstellbares Vergehen einer Gliederung begriffen werden. Sofern der Landesvorstand Bayern von einem akuten Handlungsbedarf überzeugt gewesen wäre, hätten diesem diverse, in ihrer Wirkung weit weniger inversive Handlungsoptionen zur Verfügung gestanden. Am naheliegendsten wäre es gewesen, die Souvernität der Gliederung unangetastet zu lassen und stattdessen eine kommentierende Stellungnahme innerhalb des eigenen Handlungsbereiches zu veröffentlichen. Ebenso hätte der Landesvorstand eine Gegendarstellung verfassen und den Kreisverband auffordern können, diese unterhalb des ursprünglichen Artikels zu platzieren. Doch selbst wenn man den Artikel für derart parteischädigend erachtet hat, dass eine vollständige Entfernung geboten gewesen ist, so hätte man lediglich den fraglichen Artikel löschen oder bearbeiten, bzw. den Zugriff durch technische Möglichkeiten unterbinden können. Von all diesen Möglichkeiten wurde jedoch kein Gebrauch gemacht, sondern stattdessen dem Kreisverband Neu-Ulm zeitweise jegliche Möglichkeit genommen, im Internet für die eigenen Positionen – die nicht notwendigerweise mit denen des Landesverbandes identisch sein müssen – zu werben. Der Kreisverband wurde auf diese Weise an seiner gesetzlichen Aufgabe, an der freien Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes mitzwirken, gehindert. Die Vorgänge in Neu-Ulm lassen zudem Zweifel an der durch § 21 Abs. 1 GG geforderten, an demokratischen Grundsätzen orientierten inneren Ordnung der Partei aufkommen. Bis heute fehlt es an einer nachvollziehbaren begründeten Entscheidung des Landesvorstandes zu den Vorgängen in Neu-Ulm. Insbesondere fehlt ein Beleg dafür, welcher Teil des Artikels gegen geltendes Recht oder die Satzung der Piratenpartei verstieß. Ein Umstand, der wenig zum eigenen Anspruch der Partei in Hinblick auf die Transparenz politischen Handelns passen mag.
Bleibt also die Forderung an den Landesverband Bayern und des ihm personell nahe stehenden Bundesvorstand:
- Gibt es einen Beschluss zu der vollzogenen Sperre des Internetauftritts des KV Neu-Ulm?
- Wenn JA, wer war der Antragsteller (Klarnamen bitte)? Wer hat über den Antrag wann und bei welcher Gelegenheit abgestimmt und wie hat jeder Abstimmungsteilnehmer konkret abgestimmt. Auch hier bitte die Klarnamen aller Beteiligten.
- Wenn NEIN, wer hat dem ausführenden Administrator die Anweisung erteilt und warum hat der Administrator nicht auf die fehlende Autorisierung hingewiesen?
- Welche personellen und prozessualen Konsequenzen werden gezogen, damit derartiges sich nicht wiederholen kann?
- Wird der Bundesvorstand bei Kenntnis der verantwortlichen Personen Amtsenthebungen und Aberkennung der Befähigung ein Amt zu bekleiden bzw. ggf. Beendigung von Beauftragungen von Amts wegen einleiten?
- Wie gedenkt der Landesverband Bayern und der Bundesverband das mit dieser Aktion zerstörte Mitglieder- und Wählervertrauen zu heilen?
Zuletzt bleibt uns nur der dringende Appell an den Landesverband Bayern und den Bundesvorstand zukünftig sich gemäß unserer, bei Anderen stets eingeforderten, Werte zu verhalten. Wir können nicht weiter machen mit „Wasser predigen und Wein saufen“. Besinnt Euch! Lernt Eure Beiss-Reflexe zu kontrollieren und souverän zu handeln. Zensur-Maßnahmen innerhalb der eigenen Partei unter grober Missachtung von Satzung und Gesetz ist nicht souverän.